Kino ist billiger - die Blaue Lagune
Seit Menschengedenken nutzen Isländer das aus der Erde quellende warme Wasser zum Baden. Ursprünglich setzte man sich in ein Wasserloch oder einen Flussabschnitt mit angenehmer Temperatur. Später wurde das mineralreiche Nass in einfache Wanen geleitet. Touristisch erfolgreich vermarktet wird heute ein Teil des Geothermalkraftwerks Svartsengi, das ein bis zu 240° heißes Süß-Meerwassergemisch aus 2000 Metern Tiefe für Stromerzeugung und Fernwärme fördert. Abgekühlt füllt das Wasser, durch Kieselalgen milchigblau gefärbt, eine Lavasenke. Aus der einheimisch genutzten Badestelle entstand im Laufe der Jahre ein Thermalbad, das heute weltbekannt ist und nach und nach durch einen umfangreichen Hotel- und Spa-Komplex nebst Riesen-Parkplatzsystem erweitert wird.
Mein Flug geht (angeblich, aber das ist eine andere Geschichte) um 0:15, da greife ich gerne eine Anregung aus dem Netz auf, nutze die Gepäckaufbewahrung an der nahe dem internationalen Flughafen gelegenen Bláa Lónið und freue mich auf zwei bis drei Stunden hautfreundliches und erholsames Badevergnügen bis 21:15 Uhr.
Der Eintritt (ca. 60 bis 110 Euro in der Standardversion) sollte vorab gebucht werden, weil Besucher ohne Termin auf freie Plätze in Stunden-Zeitfenstern hoffen müssen. Das kann dauern, wie die lange Warteschlange beweist. Skurril, dass mein Ticket bei get your guide insgesamt günstiger ist als die durch einen technischen Fehler blockierte Buchung auf der Lagune-Website. Ich kann jedenfalls sofort eintreten. Zeitfenster, das bedeutet limitierten Zugang, sagt aber nichts über die Anzahl der begrenzten Plätze aus. Beim Anblick der durchaus großflächigen Becken geht meine Vermutung auf ein Verhältnis von Mensch zu Quadratmeter. Es ist voll! Es ist laut! Außerdem scheine ich mir über den Zweck des Besuchs völlig falsche Vorstellungen gemacht zu haben. Nicht Hautpflege oder Erholung, ein markantes Ich-war-hier-Erinnerungsfoto im Selfie- bzw. "Kannst du mal ein Foto von uns machen"-Style ist Ziel der meisten Besucher. Ich habe meine wasserdichte Kamera trotz der attraktiven Kulisse aus privatsphärischen und Datenschutz-Gründen im Rucksack gelassen. Aber weder das Wasser noch das Recht am eigenen Bild anderer können die meisten davon abhalten, mit zum Handy erhobenen Blick den blau-schwarzen Hintergrund zu scannen und rückwärts staksend die beste Position auszuloten. Klar, dass das zu Kollisionen mit durch Salzwasser-Auftrieb begünstigtem Gleichgewichtsverlust führen kann. Flutsch - in der (nicht immer fremdkörperfreien) Brühe ist schon nach 10 Zentimetern nichts mehr zu erkennen, es herrscht zudem eine leichte Strömung. Und nicht alle Smartphones sind wasserdicht oder durch eine Plastiktüte ausreichend geschützt. Die verzweifelten Verlierer liefern den unbeteiligten Zuschauern unfreiwillige Slapstick-Unterhaltung mit gebremstem Mitleidsfaktor - trotzdem definitiv zu teuer bezahlt.
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Alternativen
- Im bereisten Gebiet haben sich mittlerweile auch andere Geothermalbäder zu Großveranstaltungen gemausert. Die als "secret lagoon" gehandelte Gamla Laugin ist längst kein Geheimtipp mehr. Bei meinem Besuch finde ich keinen freien Parkplatz, selbst die Zufahrt ist vollgestellt, ein Jungesellinen-Trupp kreischt begeistert vor dem Einlass. Ich lasse mein im Voraus bezahltes Ticket sausen.
+ Reykjavik verfügt über zahlreiche beheizte Frei- und Hallenbäder, für Bewegung im warmen Wasser gut geeignet und im Verhältnis preiswert. Hinweis: Isländer schätzen (auch bei Touristen) eine intensive textilfreie Reinigung vor dem Bad und ein gründliches Abtrocknen VOR dem Weg zur Umkleide.
+ Die Hvammsvik Hot Springs mit angeschlossenen Ferienhäusern werben mit Umkleide-Luxus und dem besonderen Kick eines warmen Vergnügens in acht natürlichen Pools in Kombination mit Salzluft und Zugang zum erheblich kälteren Hvalfjörður. Obwohl deutlich günstiger (ca. 50 Euro/Tag) fehlt der Destination glücklicherweise (noch) die social media-Anerkennung. Vielleicht sollte ich deshalb besser verschweigen, dass besonders bei auflandigem Wind tolle Fotomotive entstehen.
+ Ultimativer Tipp: Zurück zur Natur. Kostenloses Badevergnügen ohne viel Komfort gibt es in vielen Abflüssen heißer Quellen, zum Beispiel längs des Reykjadalur. Mal ist ein Becken ausgemauert, mal gibt es einen Bretter-Sichtschutz mit Haken für die Kleidung, mal gibt es - nichts. Man muss nur (vorsichtig) die passende Temperatur finden. Geht es nach naturverbundenen Isländern, benötigt man nicht einmal unbedingt Badekleidung.
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